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Post vom Anwalt

Ich erinnere mich an lauwarme Sommernächte mit dir.

Wir sind zwischen den Hochhäusern mit den spiegelglatten Fassaden entlanggelaufen, in den an den Wochenenden ausgestorbenen Stadtvierteln. Doch selbst dann war an den wie geleckten Bürgersteigen zu erkennen, welche Menschen dort verkehren, in Autos, die jede Unebenheit der Straße schlucken und denen man so etwas Würdeloses doch nicht zumuten möchte.

Mit unserem Fußpils in der Hand sind wir dorthin gelaufen wo mehr los war. In den zwielichtigen Vierteln haben wir uns um das Unkraut gekümmert und unsere Kiosktour fortgesetzt bis runter an den Fluss, an den das Partyviertel grenzt. Dort ist es jedes Wochenende so voll wie auf einem Straßenfest. Wir haben uns auf die Wiese am Flussufer gesetzt, den Jugendlichen zugesehen und doch überhaupt nichts gesehen. Wir waren in unserer Welt.

Wir haben geredet, über alles, was uns durch den Kopf geschossen ist. Es gab keine Tabus. Wir waren uns genug für Unterhaltungen, die ganze Nächte gedauert haben. Wir haben uns mitten in der Stadt geküsst, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt. In dieser Zeit bist du zu meinem Rhythmus geworden. Du warst mein Wecker und mein Einschlafritual, hast meine Nächte zum Tag gemacht und meine Tage zu Nächten, an denen mir nichts anderes übrigblieb, als von dir zu träumen. Ich war nie wirklich ohne dich, weil selbst wenn dein Körper nicht bei mir war, deine Worte, die Erinnerungen an dich waren es. Damals habe ich den Traum von einem Leben mit dir gelebt. Es war ein wilder Ritt und bis heute, war ich nie glücklicher, als in den Nächten mit dir, wenn wir zu Fuß oder im Auto die Stadt unsicher gemacht haben. Du hast mir Winkel gezeigt, die ich für immer nur mit dir verbinden werde, während die Welt bereits geschlafen hat.

Ich hätte nie gedacht, dass der Sturz von Wolke 11 so brutal sein kann. Ich verstehe, wie du bist und wer du bist. Ich verstehe, warum du es getan hast und warum du mich so verlassen hast. Du wolltest mich beschützen. Du wolltest verhindern, dass man mich mit deinem Raubüberfall in Verbindung bringt. Du hast mir und dir selbst aus Liebe das Herz gebrochen. Ich habe immer gehofft, es würde der Tag kommen, an dem ich dich wiedersehe und dir all das sagen kann. Ich habe gehofft, es kommt ein Tag, an dem die Umstände besser sind und wir eine zweite Chance bekommen. Doch die Jahre vergingen und du musstest auf der Flucht bleiben, vor dem was du getan hast, vor deinen eigenen Gedanken und Vorwürfen, vor dir selbst.

Ich habe alles versucht, um dir zu helfen und dich zu erreichen, aber du hast das nie angenommen. Du wolltest mich beschützen. Und dennoch kamen manchmal Zweifel in mir auf. Ich hätte lieber für mich selbst entschieden, anstatt deine Entscheidung für mich akzeptieren zu müssen. Ich wäre gerne Teile des Weges in deinen Schuhen gelaufen, um mit deinen Augen zu sehen, aus deiner Sicht zu verstehen und so zu fühlen, wie du. Wenigstens für einen Tag, hätte ich gerne noch einmal so an deinem Leben teilgehabt.

Heute kam der Brief von einem Anwalt. Es gibt kein Leben mehr, an dem ich teilhaben könnte. Und doch wirst du von nun an, an meinem Leben teilhaben. Du hast mir alles vererbt. Das ganze Geld, all deinen Besitz. Es ist der Beweis für die ganze Welt, wen du geliebt hast, in all den Jahren.

Du hast mich reich gemacht. Damals schon.

 

Und jetzt schon wieder.

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