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Der tödliche Stammtisch - Teil 1

DIE WEIHNACHTSFEIER

Die Feier lief ganz nach Matts Vorstellungen. Fast ganz nach Matts Vorstellungen. Erst hatte er seine Frau aus einer Telefonkonferenz holen müssen, damit sie die Gäste begrüßte und jetzt bewegte sie sich kaum von der Bar weg, die sie im Wohnzimmer aufgebaut hatten. Seit sie aus dem Arbeitszimmer gekommen war, hatte er sie nur mit vollem Glas in der Hand gesehen. Aber er hatte sich geschworen, sich diesen Abend nicht von der Sucht seiner Frau ruinieren zu lassen. Es war sein Abend. Lächelnd und Hände schüttelnd bahnte er sich einen Weg durch die Gäste, die vor den Bildern standen, die er bereits enthüllt hatte. Er wusste, dass das nicht seine besten Arbeiten waren, aber das Gemälde, das noch verhüllt neben der Terrassentür stand, war so entstanden, wie er am liebsten malte. In fieberhafter Inspiration mitten in der Nacht.

„Wie wäre es, wenn du mal ein Wasser trinkst?“ Er pachte Jackie am Ellbogen und zischte sie durch sein Lächeln an.

Der Pianist sorgte dafür, dass einige der Gäste tanzten und Matt winkte seiner Managerin zu, die scheinbar mit ihrem Poolpfleger das Tanzbein schwang.

„Wie wäre es, wenn du mich in Ruhe lässt? Ich kämpfe um eine Beförderung auf meiner richtigen Arbeit und eine meiner Freundinnen wird seit Tagen vermisst.“

„Von deinem Gin-Gesaufe kommt sie auch nicht wieder. Beccy und Josh hatten Streit, sie wird ihn verlassen haben.“

„Das ist Joshs Version. Ich habe mit der Polizei gesprochen. Ihre Kreditkartenabrechnungen in der letzten Woche weichen von denen davor ab. Außerdem kenne ich sie, sie würde nicht einfach so verschwinden.“

Matt verfestigte seinen Griff. „Du kennst sie? Nach allem was ich weiß, lügt ihr euch bei eurem Stammtisch doch nur an. Oder hat sie dir erzählt, dass sie gefeuert wurde?“

Jackie starrte ihn durch ihren Alkoholnebel hindurch an. Ihre Augen verrieten sie immer. „Woher willst du das wissen?“

„Das hat Josh mir erzählt. Und jetzt tu mir einen Gefallen und reiß dich zusammen! Ich versuche hier Fuß zu fassen in der Kunstwelt. Ich enthülle jetzt das Bild. Tu wenigstens so, als wärst du nüchtern und würdest dich für meine Arbeit interessieren.“ Matt ließ sie stehen. Er trat neben sein verhülltes Gemälde und setzte zu der Rede an, die er bereits seit Tagen vor dem Spiegel übte. Der Pianist hörte auf zu spielen, es wurde leise.

Jackie hörte, wie er sich bei ihr für ihre Unterstützung bedankte und sie hauchte ihm quer durch den Raum den Kuss zu, den er sich wünschte. Doch sie dachte an Beccy. Letzte Woche in der Bar hatte sie sie zuletzt gesehen. Sie hatte nichts davon erzählt, ihren Job verloren zu haben. Aber eigentlich stimmte schon seit Wochen etwas nicht in ihrer Clique. Sie war nur zu beschäftigt gewesen, es zu erkennen.

Jackie ließ sich nachfüllen, während Matt noch davon schwärmte, dass er jedes Bild den Zwill­ingen widmete, die oben unter dem wachsamen Augen ihrer Nanny schliefen. Und dann lüftete er endlich das Gemälde. Applaus brandete auf, Fotos wurden gemacht. Jackie starrte gedankenver­loren auf die bunten Pinselstriche auf der Leinwand. Sie hatte seine abstrakte Kunst noch nie verstanden, geschweige denn, darin einen Sinn gesehen. Doch dieses Mal kam sie nicht umhin einen Sinn in seinen Linien zu sehen. Wie ferngesteuert trat sie näher.

Sie sah Blut spritzen, sie sah ein Messer und sie sah die Hemdsknopfe mit den Initialen darauf. Blonde, lange Haare unter ihm. Beccys Haare.

„Gefällt es dir, Schatz?“ Matt war neben sie getreten, legte seinen Arm um sie und küsste sie vor allen Gästen auf die Wange. „Ich nenne es: Mörderische Leidenschaft.“

 

„Du Mistkerl!“ Jackie schüttete ihm ihren Drink ins Gesicht und stürmte vor ihren ver­stummten Gärten aus dem Haus.

 

IN DER BAR - Eine Woche zuvor

„Die Geschenke sind da!“

Beccys schrille Stimme hallte durch die volle Bar und drehte Köpfe. Elisa schluckte hastig herunter, was sie im Mund gehabt hatte und beobachtete, wie die aufgedonnerte Pharmareferentin mit riesigen Geschenktüten in den Händen, auf sie zukam. Sie ließ sich auf die Bank gegenüber fallen und stapelte die Tüten neben sich auf. „Du warst ja in teuren Läden. Sind da etwa auch Geschenke für uns dabei?“ „Natürlich du Dummerchen. Ihr braucht doch Aufmunterung unter dem Weih­nachtsbaum, während ihr für eure spuckenden Kleinen den Weihnachtsmann spielt und so weiter.“

„Oh. Na dann, danke.“ Elisa blickte hinab in ihr Wasserglas und wusste, dass Bercy sie beäugte. Ihr würden ihre ungewaschenen Haare auffallen, die viel zu lange keinen Friseur mehr gesehen hatten, die Ringe unter ihren Augen, sowie die Bluse aus der letzten Saison.

„Kann es sein, dass du länger nicht mehr in der Mall warst, Süße?“

„Naja, der Kleine hält mich in letzter Zeit sehr auf Trab. Und Todd ist ständig unterwegs. Du weißt ja, wie die Anwalte sind.“

„Ich denke, du brauchst mal wieder einen Shoppingtag mit deiner Spaßbombe Beccy. Wir leben in der aufregendsten Stadt der Welt, du musst dich auch so kleiden. Wann nach Weihnachten passt es dir?“ „Oh nein, nein. Das geht leider nicht. Todd und ich ... Wir sind bis Neujahr bei seinen Eltern.“ Der Anblick von Beccys Kalenderapp, ließ Elisas Hand schwitzen. Sie sollte nicht sehen, wann sie zuletzt etwas zu zweit unternommen hatten, sie sollte nicht auf die Idee kommen zu fragen, weshalb es bereits so lange her war und sie sollte nicht erahnen, dass Elisa sehnsüchtig auf Jackies Ankunft wartete.

„Na dann machen wir es eben im neuen Jahr. Ich hole mir einen Martini. Willst du auch einen oder bleibst du bei Wasser? Gott, ist das auch noch stilles Wasser? Ich dachte, wir feiern heute!“

„Ich habe es ein bisschen am Magen heute, ich bleibe bei Wasser. Oh und... Ich soll dich von Todd fragen, ob du ihm noch etwas von dem ... Medikament geben könntest?“

Beccy spürte, wie sich ihr Hals verkrampfte. „Schon wieder? Die letzten Blister sollten eigentlich noch reichen.“

„Er hat die Hälfte auf der letzten Dienstreise im Hotel vergessen.“

„Oh. In diesem Jahr leider nicht mehr. Ich... Hatte heute schon meinen ersten Urlaubstag.“ Das Lügen war leichter, wenn man seinem Gegenüber dabei nicht in die Augen sehen musste. So stand Beccy auf und holte sich einen Martini an der Bar, während sich Elisas schwitzende Hand um ihr Wasserglas schloss.

„Ich bin da, ich bin da!“ Hektisch in ihr Handy tippend erschien Jackie am Tisch, kaum dass Beccy wieder Platz genommen hatte. „Verdammt, dauert das lange, bis sich mein Handy mit dem WLAN hier verbindet. Ich habe eine Deadline.“

„Wir freuen uns auch dich zu sehen.“

„Beccy, Schätzchen, ich bin gleich für euch da, aber die Mail muss noch raus. Ich will nächstes Jahr endlich befördert werden und zuhause werde ich mich nicht konzentrieren können, sobald Matt mir erzählen möchte, welche Farbe der Sabber der Kinder hatte oder welche Formen sie gekackt haben.“ Jackie schickte die Mail ab und blickte auf - geradewegs in die entsetzten Gesichter ihrer Freundinnen. „Aber sie sind großartig. Und Matt auch. Er ist der perfekte Hausmann. Er lädt euch übrigens alle zu unserer Weihnachtsfeier ein.“

„Oh wie nett. Aber Todd und ich wir sind ab morgen bei meinen Eltern.“

„Sagtest du vorhin nicht, ihr seid bei Todds Eltern?“

„Ja. Erst bei meinen, dann bei Todds Eltern.“

„Aha. Und warum grinst du jetzt so?“ Elisa zuckte nur mit den Schultern. Sie lächelte. Ihr Blick war merkwürdig beschlagen. „Hausfrauen haben ja immer Zeit zum Bechern. Und was ist mit dir und Josh? Kommt ihr?“

Beccy kippte ihren Martini. „Mit dem allergrößten Vergnügen. Ich... muss nur nochmal Josh fragen. Und jetzt kommen wir doch zu den Geschenken.“ Sie hob ihre Tüten auf den Tisch und holte Unmengen an Babysachen, Uhren, Anzügen, Schmuck und Küchengeräten heraus. „Um Himmels Willen! Wann hattest du denn Zeit für die nächsten 3 Jahre samt Geburtstagen und Weihnachten einzu­kaufen?“, fragte Jackie. „Ich bin Profi. Wahrscheinlich muss ich morgen nochmal gehen.“ Sie verteilte die Geschenke an ihre Freundinnen. „Ich habe euch nur etwas geklaut“, lachte Elisa. „Du hast was?“ „Sie macht doch nur einen Witz.“ „Sicher, Jackie? An den Handtüchern hängt noch dieses Sicherheitssystemdings dran.“ Die beiden sahen über den Tisch zu Elisa. „Das haben die im Laden vergessen abzumachen. Ich klaue doch nichts. Mein Mann ist Anwalt!“ „Eure Geschenke hat Matt.“ „Wie geht es Todd eigentlich? Ich habe ihn schon lange nicht mehr mittags am Hotdogstand getroffen.“ „Ich koche ihm jetzt seinen Lunch. Er hat sehr viel Arbeit. Aber er kümmert sich wirklich toll um unseren Kleinen. Und er hat mir auch ganz tolle Sachen zu Weihnachten geschenkt. Für unsere Wohnung.“ „Klasse. Ich brauch was zu trinken.“ „Was ist? Hängt bei dir und Matt der Haussegen schief?“, fragte Beccy und sah sie an. „Es läuft alles bestens. Ich freu mich schon auf die Weihnachtstage und unsere Feier mit euch und seinen Bildern. Falls Josh seine Pläne endlich Kinder mit dir zu haben verschieben kann.“ „Hol dir was zu trinken Jackie, du wirst schon wieder unausstehlich.“ „Mädels, ich bin hundemüde. Ich denke, ich fahre mal heim. Vielen Dank für eure Geschenke.“ Elisa erhob sich und raffte alles zusam­men, was ihre Freundinnen zu ihr gestellt hatten. „Frohe Weihnachten“, rief Beccy ihr hinterher. Die beiden beobachteten, wie Elisa sich durch die Bar kämpfte. „Sie fährt direkt unsere Geschenke verkaufen, oder?“ „Mit Sicherheit Jackie. Bei all den Pillen, die ich ihr für Todd gegeben habe, kann er nicht mehr arbeitsfähig sein.“ „Dann werden sie wohl auch den Porsche bald verkaufen müssen.“

„Peinlich. Wie gut, dass bei uns alles bestens ist.“ 

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