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Der tödliche Stammtisch - Teil 2

ELISA

 

Aus zwei Gründen hatte Elisa den Wert der Geschenke nicht schon in der U-Bahn durchgehen können. Erstens war sie zu vielen neugierigen Blicken ausgesetzt gewesen und zweitens hatte sie versucht, sich zu beruhigen. Wenn Beccy ihr nichts mehr von dem Anti­depressivum mitbringen wollte, dann würde sie eben ver­suchen auf anderen Wegen zu den Mitteln zu kommen, die sie der Realität entfliehen ließen. Die eine Frau aus dem Club hatte neulich in der Umkleide nach der Sauna ein Döschen in der Hand gehabt, vielleicht war das etwas. Sie wusste, sie hätte sich Gedanken um Todd und den Kleinen machen sollen, aber Josh hatte versprochen, auf die beiden aufzupassen und zu bleiben, bis sie kam. Und auf Josh war Verlass.

Es begann zu schneien, als sie von der U-Bahn zu ihrem Stadthaus marschierte. Der Portier grüßte sie, doch sie traute sich kaum seinen Blick zu erwidern, aus Angst er sah ihr an, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie die Miete nicht mehr zahlen konnten. Als sie oben die Tür aufschloss, so hoch oben, dass sie jahrelang geglaubt hatte, über dem Verkehrslärm und den Bedürfnissen und Ängsten der Menschen auf der Straße zu schweben, fand sie Josh auf der Couch sitzend vor, der Kleine lag schlafend in seinem Arm und im Fernsehen lief leise Sport. So könnte es sein. Elisa stellte die Geschenke neben der Tür ab und erwiderte zaghaft Joshs Lächeln, als er aufstand und den Kleinen in sein Bettchen legte.

„Er war ganz brav. Er ist gewickelt und hat gegessen.“ „Und wo ist Todd?“ „Er liegt im Bett. Er wollte weder essen noch trinken, noch reden. Wollen wir vielleicht etwas essen? Wir können uns etwas liefern lassen?“ „Josh...“ „Elisa, komm schon. Rein biologisch sind wir drei doch schon eine Familie. Wenn ich euch schon nicht finanziell unterstützen darf, dann ...“ „Josh! Ich ... Ich danke dir für alles, was du für mich... uns... tust und getan hast. Aber wir sind keine Familie. Du bist mit einer meiner besten Freundinnen verheiratet und ich mit Todd. Diese Nacht war ein Fehler.“ Sie schaltete den Fernseher aus, in der Hoffnung, es würde Josh in Richtung Tür treiben. „Ein Fehler? Diese Nacht hat uns beide immerhin zu Eltern gemacht. Etwas, das wir uns ja wohl beide jahrelang gewünscht haben.“ „Ich weiß, aber...“ „Ich kann mich nicht damit abfinden, die falsche Partnerin gewählt zu haben.“ „Beccy und du, ihr könnt noch Kinder bekommen!“ „Was verdammt hält dich denn noch bei Todd? Weise ihn in eine Klinik ein und lass uns...“ „Ich bin doch dran schuld, dass es ihm so geht“, zischte Elisa, um den Kleinen nicht zu wecken. „Er hat Depressionen, wie soll das...“ „Ja, aber sie waren unter Kontrolle! Bis ich unbedingt Kinder wollte und ihn zum Arzt geschickt habe und seine Impotenz entdeckt wurde. Er weiß, dass ich ihn betrogen habe und von dir schwanger geworden bin und deshalb ist seine Depression auch so schlimm geworden, dass er seinen Job verloren hat!“ Elisa kämpfte mit den Tränen. Doch sie wollte ihren Sohn nicht wecken. Josh senkte sein Kinn zur Brust. „Gut. Dann werde ich wohl gehen.“ Er griff nach seiner Jacke und ging an ihr vorbei zur Tür. „Du solltest aber vielleicht mal darüber nachdenken, ob es für unseren Sohn wirklich am besten ist, dass du aus Schuldgefühlen bei einem anderen Mann bleibst.“ Elisa drehte sich nicht um und reagierte auch sonst nicht auf seine Worte. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, ging Elisa in das dunkle Schlafzimmer, in dem Todds Figur unter der Decke lag. Sie legte sich dazu. Die Wirkung ihrer letzten Tablette ließ nach. Der Tablette, die Todd nicht mehr nehmen wollte und ohne die sie das alles nicht mehr lange aushalten würde.

 

JACKIE

 

“We wish you a merry Christmas!” Jackie stieß die Schlafzimmertür auf und kickte ihre Schuhe von sich. Erst dann machte sie das Licht an und stellte fest, das Matt nicht im Bett lag. Sie war sich nicht sicher, wie sie das fand, aber sie entschied sich, dass es gut war, keine weitere Standpauke hören zu müssen. Außerdem brauchte sie ihren Schlaf für ihre Telefonkonferenz morgen früh. Sie entledigte sich ihres Kostüms und sank erschöpft auf die Matratze. Sie hatte gerade ihre Augen geschlossen, als das Licht wieder anging und Matts Stimme durch den Raum hallte. „Kommst du auch mal nach Hause? Ich habe dir vor vier Stunden geschrieben, dass die Zwillinge krank sind! Und du kommst hier rein und legst dich einfach ins Bett?“ „Ich muss morgen früh arbeiten. Ruf doch die Nanny an.“ „Gott, bist du schon wieder betrunken?“ Er kam näher, zu ihrer Seite des Bettes. Sie wollte sich wegdrehen, damit er ihren Atem nicht riechen konnte, doch er wedelte bereits mit seiner Hand vor der Nase herum. „Ist das dein Ernst? Jackie, du hast ein Alkoholproblem!“ „Leg doch mal eine andere Platte auf.“ Sie drehte sich um und hörte sein Schnauben. „Willst du jetzt einfach schlafen? Die Kinder sind krank!“ „Ich muss morgen arbeiten!“ „Ich auch! Bis zu unserer Weihnachts­feier muss ich mein Bild fertig malen.“ „Du sagt es, du malst!“ „Ich werde nicht schon wieder diese Diskussion mit dir führen. Auf unsere Weihnachtsfeier kommen wichtige Menschen für mich. Das könnte mein Durchbruch sein, wenn ich dort meine neuen Bilder ausstelle und verkaufen kann. Und ich muss malen, denn ich habe nichts fertig! Könntest du mich bitte einmal unterstützen?“ „Ich habe morgen eine Telefonkonferenz. Du willst meine Unter­stützung? Die Nummer der Nanny liegt am Kühlschrank im Erdgeschoss.“ „Du egoistische...“ Das Klingeln seines Handys stoppte Matts zetern. „Was ist?... Du hast was? ... Josh, Josh, beruhige dich!... Ist ja gut! Ich komme gleich.“ Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, legte er auf, löschte das Licht und verließ den Raum.

 

BECCY

 

 

Sie war froh, dass er nicht zu Hause war, als sie heimkam, bepackt mit all ihren Errungenschaften aus den Kaufhäusern. Beccy war gerade dabei, die Sachen aus den Tüten zu nehmen und zu überlegen, wo sie das Zeug am besten vor seinen Augen verstecken konnte, als sie seinen Schlüssel im Türschloss horte. „Was ist das denn?“ Seine Zündschnur stand bereits in Flammen, als er die Tür schloss und sie sah. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er erfasst hatte, was sie getan hatte. „Josh mach nicht wieder so einen Zirkus. Ich war einkaufen. Falls du es vergessen hast, nächste Woche ist Weih­nachten.“ Beccy versuchte das Poltern ihres Herzens zu verbergen. Sie führten diesen Streit mehrmals in der Woche. „Erinnerst du dich noch an dein Versprechen von vor 3 Tagen?“ Sie rollte mit den Augen und stapfte quer durch den Raum in die Küche, wo sie sich ein Glas Wasser einschenkte. „Josh, in unseren Kreisen erwarten unsere Freunde Geschenke zu Weih­nachten. Und es wird auch erwartet, dass wir nächste Woche zur Weihnachtsfeier von Jackie und Matt gehen. Da kann ich nicht in Lumpen hingehen!“ „Verflucht nochmal, du bist kaufsüchtig! Sieh es endlich ein!“ Ihre Empörung brach mit einem Schnauben aus ihr heraus. „Das bin ich nicht! Schrei diesen Unsinn hier nicht so herum!“ „Wieso? Weil sich die Wahrheit in unseren Kreisen nicht gehört? Du hast vor Wochen deinen Job verloren und du kannst trotzdem nicht aufhören, das Geld zum Fenster rauszuwerfen!“ „Oh Entschuldigung, aber ich dachte, das war es, was du wolltest? Ein braves Frauchen zuhause, das deine Kinder großzieht!“ Josh zückte sein Handy. Er dachte an Elisas Gesicht vorhin und das seines Sohnes, aber die Wut pulver­isierte beides. „Weißt du, was ich jetzt tue? Ich lasse sämtliche deiner Karten sperren. Wir wollen doch, dass du für unsere zukünftigen Kinder ein gutes Vorbild bist!“ „Was glaubst du wer du bist?“ Beccy warf ihr Wasserglas nach ihm, es zerschellte ohrenbetäubend neben ihm an der Wand. Josh legte auf und starrte sie an. Erst jetzt fielen ihm ihre großen Pupillen auf. „Du hast wieder eine dieser Pillen genommen, oder?“ „Mach dir keine Sorgen um dein Geld, du hast sowieso niemanden, dem du es vererben kannst! Ich schneide dir die Eier ab!“ Sie stand gut zwei Meter von ihm entfernt, jenseits der Kücheninsel, als sie nach dem Fleischmesser vor ihr griff. Josh dachte nicht nach. Er griff nach der Vase neben ihm und schmiss sie nach ihr. Es folgte ein hässliches Knacken und Knirschen, als sie das schwere Ding am Schädel traf. Unmöglich zu sagen, ob nur das Porzellan barst oder auch ihr Schädel. Im selben Augenblick fiel sie zu Boden, als wäre ihre Wirbelsäule weggeknickt. Josh starrte dorthin, wo eben noch ihr wütendes Gesicht gewesen war. „Beccy?“ Auf schlackernden Beinen umrundete er die Kücheninsel. Das Blut war das erste, was er sah. Es bereitete sich in einer Lache um ihren Kopf aus, Spritzer klebten an der Kücheninsel. „Beccy?“ Er trat über sie. Ihr Puls war schwach, das Messer lag neben ihr. Es war seine Chance. Josh setzte sich auf sie, packte das Messer und stach zu. 

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