Etwas liegt in der Luft. Der Regen hat sich verzogen. Der hereindämmernde Abend gaukelt der Stadt vor, ein trockener zu werden. Von den Laternen die allmählich anspringen tropft es, auf dem Asphalt der Straßen haben sich flache Pfützen gebildet. Es sind weniger Autos unterwegs. Die Stadt hat einen Gang zurückgeschaltet. Ein kollektives Ausatmen geht durch die leeren Straßen.
Weniger Autos, deren Reifen die Pfützen zerpflügen. Es sind hauptsächlich Lieferdienste unterwegs, bunt bemalte kleine Autos, die mit Warnblinkanlage überall dort stehen wo Platz ist, während die Fahrer mit eiligen Schritten Tüten voll dampfendem Essen an Haustüren tragen. Ich halte an einer roten Ampel und denke, dass es ein guter Abend ist, um zuhause zu bleiben. Ein guter Abend, um fernzusehen, ein guter Abend, um Freunde einzuladen. Ein guter Abend, um nicht zu kochen, um auf dem Sofa zu liegen, die Woche verebben zu lassen.
Aber ich bin hier draußen und bin doch nicht draußen.
Eine Gruppe Jugendlicher überquert die Straße vor mir. Sie sind warm angezogen, einige tragen Kopfhörer in den Ohren, andere lange Flaschen in den Händen mit durchsichtiger Flüssigkeit darin. Die Mädchen haben Tüten voll Zucker in den Händen – alles, was den schnellen Hunger stillt. Und das wird alles sein, was sie heute Abend interessiert. Sie sind auf dem Weg in den Park, jetzt wo es aufgehört hat zu regnen. Sie werden den letzten Spätsommerabend bis in die Nacht genießen. Bald wird es zu kalt dafür sein. Aber daran wird heute niemand aus dieser Gruppe denken. Für heute wird sich alles, was sie tun und denken nach Unendlichkeit anfühlen. Erwartungen vibrieren durch die Luft. Der Höhepunkt der Woche steht bevor.
Mein Blick fällt auf die S-Bahn Brücke, wo der Zug mit erleuchteten Fenstern über die Schienen rattert. Die Bahn ist voll mit Menschen, die in Gruppen unterwegs sind in Richtung der großen Stadt, mit ihren erleuchteten Hochhäusern. Belebte Straßen warten auf sie, die summen als wäre der Tag gerade erst angebrochen. Vielleicht sind sie unterwegs in volle Bars, wo sie sich anschreien müssen, um sich gegen das Stimmengewirr durchzusetzen. Vielleicht sind sie unterwegs in Clubs, um sich in das Gedränge zu stürzen, die Nacht zum Tag zu machen. Die Musik im Autoradio hat sich verändert, ist schneller geworden, clubbiger. Die Kinos werden gefüllt sein, die Restaurants, die Theater, bereit die Sinne der Menschen zu füllen. Bereit zu verzaubern, zu beeindrucken. Bereit, der Höhepunkt der Woche zu sein.
Ich fahre weiter. Entferne mich von der Jugend und dem Bahnhof. Und frage mich, ob es einen Weg zurückgibt. Dorthin, wo ich zuletzt beeindruckt und Sinne gefüllt habe. Oder ob das alles noch vor mir liegt, größer, heller, stärker. Oder ob auf mich nichts anderes wartet als verbrauchte Luft und der Geruch nach fettigem Essen geliefert an meine Haustür.
Ich fahre denselben Weg wie jedes Mal. An der Dönerbude ist wenig los um diese Uhrzeit. Ich fahre diesen Weg seit Jahren und es scheint sich nichts zu verändern. Und doch verändert sich alles täglich, unsichtbar für das Auge. Meine Gedanken berühren dich, wie immer, wenn ich an Veränderungen denke.
Spürst du es? Denkst du noch, was du damals dachtest? Willst du noch, was du damals wolltest? Du bist gerade nach Hause gekommen. Erschöpft. Jeder Gedanke daran, dass etwas anders sein könnte als jetzt macht dir Angst. In meiner Vorstellung sehe ich Licht brennen, ich rieche Essen. Du bist gerade nach Hause gekommen. Erschöpft. Ich höre Stimmen. Jeder Gedanke daran, dass alles so bleiben könnte bis zum Ende deiner Tage macht dir Angst. Du willst, dass alles jetzt sofort anders ist.
Die Dinge ändern sich, langsam und stetig, unsichtbar für das Auge. Die Melodie baut sich auf, wird voller, lauter, stärker, bis die Welle hereinbricht. Für heute wird alles so bleiben, wie es ist. Vielleicht noch nicht perfekt, vielleicht besser als gestern. Und doch ist dieser Moment vollkommen. Es wäre töricht ihn von dannen zu wünschen.
Im Rückblick wird es schneller gegangen sein, als ich dachte.
Ich bin angekommen. Ich gehe dorthin, wo es zählt, wo ich zähle. Und für heute Abend will ich nicht woanders sein. Für heute Abend ist das Leben nirgendwo besser.
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