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Tödliches Geschwätz

Es geschah, als der Sommer Ende Juli eine Pause einlegte. Auf eine Hitzewelle mit tropischen Nächten und Wochen ohne Regen, folgten Tempera­turen von unter zwanzig Grad, Dauerregen und kühler Wind. Tildas geplanter Urlaub im eigenen Garten fiel also ins Wasser. Dafür freute sie sich umso mehr auf ihren Termin bei der Fußpflege. An einem Donnerstagvormittag, an dem es wie aus Eimern schüttete, nahm sie in dem gepolsterten Stuhl Platz, der sie ein wenig an einen Thron erinnerte, mit all dem Plüsch und den Kissen. Sie streckte ihre Füße in das lauwarme Wasser und ließ sie sich anschließend von Beate trocknen. Tilda ging gerne zu Beate, weil sie nie viel redete. So auch heute. Sie fragte, wie es Tildas Mann Holger ging, ohne wirklich an der Antwort interessiert zu sein. Und Tilda war froh darüber. Denn die Wahrheit war kompliziert. Doch sie hatte alles im Griff. Es war alles wieder gut. Tilda schloss ihre Augen und genoss die Fußbehandlung, während die Stimmen aus dem Nebenzimmer laut wurden.

Sie erkannte Arzus Stimme, bei der sie auch schon gewesen war. Die Stimme ihrer Kundin war Tilda unbekannt, doch sie schien sich bestens im Ort auszukennen. „Der arbeitet jetzt für diese Firma, die den Leuten diese TV-Boxen installiert. Aber ob seiner Frau das gut genug ist... Sie soll wieder öfter in der Eckkneipe sein.“ Von Arzu kam ein Brummen. „Dabei hat sie sich so viel Mühe gegeben den Schein zu wahren.“ „Oh apropos Schein wahren... Der Mann einer bestimmten Kundin dieses Ladens wurde vorgestern beim Scheidungsanwalt gesehen.“ „Wirklich? Wessen Ehemann?“ „Aber das würde ich doch niemals hier herumtratschen!“ Die Kundin giggelte. „Nur so viel: Es ist der Mann einer Frau, bei der immer alles perfekt ist. Ihr Leben ist perfekt, ihre Partys, ihr langweiliger Job, ihre Ehe.“ Tilda spürte, wie sie ihren Kopf vom Kissen hob. Ihr Herz pochte laut. „Aber anscheinend ist ihre Ehe alles andere als perfekt. Ihren Mann scheint ihr Gehabe wirklich zu nerven. Die beiden waren letztes Jahr im Griechenlandurlaub und da lief wohl einiges schief mit dem Hotel und so weiter und dann auch zwischen den beiden. Aber das hat sie bis heute vor ihrer ganzen Familie verheimlicht. Da heißt es, der Urlaub wäre ein Traum gewesen.“ Tilda spürte, wie sie die Luft anhielt. Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter, so sehr, dass sie jeden Muskel bis in ihren kleinen Zeh anspannte. Arzu lachte. „Ich glaube, ich weiß, von wem Sie sprechen.“ Die Kundin gluckste. „Schwer zu erraten ist es nicht, nicht wahr? Jedenfalls überlegt er wohl seitdem die Scheidung einzureichen. Und dann gab es wohl vor einigen Tagen nochmal einen Knall und das hat das Fass wohl zum Überlaufen gebracht!“ Ein Pfeifen setzte in Tildas Ohren ein, als sie an den Streit mit Holger in der vergangenen Woche dachte. Sie hatte doch nur gewollt, dass er seine Zöliakie nicht überall herumposaunte. Es war kaum ein salonfähiges Thema und die Leute glauben nur er hätte Sonderwünsche! Sie wollte aufstehen, sie wollte der Tratschtante ins Gesicht sehen und einen Namen fordern, doch ihre Füße ruhten in Beates Hand. „Da bin ich ja mal gespannt, wie das weitergeht. Das kannst du mir dann beim nächsten Mal erzählen. Deine Füße sind wieder schön.“ Die Worte der Unbekannten klingelten noch in Tildas Ohren, als Beate ihre Füße freigab und sie wie betäubt wieder nach draußen auf die Straße trat. Jemand lief vorbei und grüßte sie, doch Tilda sah nicht auf, die Stimme flog gedämpft an ihr vorbei. Es regnete, aber Tilda machte keine Anstalten sich unterzustellen oder sich in Bewegung zu setzen. Ihre Gedanken rasten dafür. Holger. Scheidungsanwalt. Vor zwei Tagen. Was hatte er nochmal gesagt, wo er gewesen war? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. Aber sie würde nicht zulassen, dass er sie zum Gespött des ganzen Ortes machte. Als Tilda sich endlich in Bewegung setzte, hatte sie eine Ent­scheidung gefällt. Sie lief bei der Kräuter- hexe vorbei.

 

„Hmm, das duftet aber gut!“ Holger rieb sich vergnügt die Hände. Überhaupt war er bestens gelaunt, seit Tilda wieder nach Hause gekommen war. Dabei hatte er sich in den letzten Tagen andauernd über das schlechte, regnerische Wetter beschwert. „Was hast du da schönes gezaubert?“ „Eine Gemüsesuppe.“ Er tauchte seinen Löffel in die Schüssel. „Lecker!“ Tilda sah ihn grinsen. „Und wo warst du heute Nachmittag?“ „Bei der Fußpflege. Das habe ich dir doch dreimal gesagt.“ „Ach, richtig. Und was hat Bate so gesagt?“ „Beate hat nicht viel erzählt. Dafür aber eine andere Dame.“ Holger blinzelte verständnislos, während er sich Löffel um Löffel in den Mund schob. „Was meinst du?“ „Mit wem hast du über unseren Griechenlandurlaub geredet?“ „Was soll das denn jetzt? Das ist ein Jahr her.“ „Es scheint dich ja noch zu beschäftigen, oder?“ „Schatz, ich habe das letztes Jahr nur den Jungs in der Skatrunde erfüllt. Das ist doch lange her.“ „Offensichtlich ist es noch Stadtgespräch.“ Sie stand auf und holte das Brot aus der Küche. Als sie wieder kam, sah sie Holger mit verzerrtem Gesicht nach seinem Magen greifen. „Lass uns doch jetzt nicht streiten.“ „Und wieso nicht? Sonst willst du doch auch so laut mit mir diskutieren, dass die Nachbarn es hören!“ Holger begann zu schwitzen. „Hast du ein neues Gewürz in die Suppe gemacht?“ „Sozusagen.“ Holger griff sich an den Hemdkragen. „Tilda, ich... Etwas stimmt nicht.“ „In der Tat. Du willst dich von mir scheiden lassen? Du willst mich zum Gespött machen?" „Sieh in den Umschlag... auf der Kommode“, röchelte Holger, dann fiel er mit dem Gesicht voraus in die Suppe. Tilda atmete tief durch. Dann hob sie seinen Kopf an und tauschte die Teller. Seinen Teller mit dem Gift darin behandelte sie sehr vorsichtig. Dann legte sie das Brot neben seinen Teller. Sie würde sagen, dass er seine Zöliakie nicht ernst genommen hatte, dass er immer wieder Gluten gegessen hatte. Etliche ihrer Freunde könnten das bezeugen, auch wenn sie nicht wussten, dass Tilda ihn dazu angehalten hatte, normal zu essen. Sie nahm das Telefon zur Hand, um dann mit atemloser Stimme den Notarzt zu alarmieren.

 

Erst dann fiel ihr der Umschlag wieder ein, den sie auf der Kommode gesehen hatte, als sie nach Hause gekommen war. Der Umschlag, den Holger erwähnt hatte. Es war besser, wenn keine Scheidungspapiere im Haus waren, wenn die Polizei kam. Sie griff nach dem großen Umschlag und öffnete ihn. Sie wollte die Papiere vor seiner Leiche zerreißen. Doch sie stutzte, als sie die Worte Buchungsbestätigung und Romantikhotel las. Ihre Finger verharrten, ihr Atem stockte. Sie wollte es nicht sehen, doch ihre Augen flogen über das Papier. Holger hatte für sie beide anlässlich ihres Hochzeitstages in vier Wochen ein Wochenende an der Nordsee gebucht. Tilda schnappte nach Luft, als sie begriff. Die Frau bei der Fußpflege hatte nicht von Holger gesprochen. Jaulende Sirenen näherten sich. Doch Tilda jaulte lauter.

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