· 

Autopilot

Der Motor springt an und ich erwache zum Leben. Meine Bewegungen laufen auf Autopilot. Ich schalte das Radio an und lege den Gang ein. Draußen ist es bereits hell, die Sonne steht einsam am Himmel. Die Wettervorhersage im Radio spricht von 40°C. Ich schalte die Klimaanlage ein, greife nach meinem Kaffee im Getränkehalter. Bis ich auf die Bundesstraße fahre, die mich zur Autobahn bringt, gehört die Welt mir. Dann muss ich um meine Freiheit inmitten der Massen kämpfen.

Der Verkehr rauscht um mich herum, bremst mich aus und zwingt mich Platz zu machen. Die Skyline der Stadt türmt sich vor mir auf, in eine diesige Wolke gehüllt. Und wir alle brettern darauf zu, wie magnetisch angezogen, wie auf Schienen. Ich schiele auf die Uhr am Radio, als ich wie so viele die Abfahrt Richtung Stadtmitte nehme. Wir alle müssen uns zuerst durch das Nadelöhr des Industriegebiets quälen. Wir wollen alle dasselbe. Ich starre auf die Blechlawine vor mir. Ich sitze erhöht und sehe den Lastwagen, der den Verkehr aufhält. Er will auf das Firmengelände rangieren, auf dem es aus Schornsteinen dampft. Es dauert endlose fünf Minuten, bis es weitergeht. Die Ampeln springen auf Rot, die Fußgänger nutzen ihre Chance. Von rechts schert eine Kehrmaschine ein, ich sehe die Essensverpackungen und Becher, die sie zusammenkehrt. Radfahrer halten den Verkehr auf, bis sie auf der Brücke endlich Platz machen müssen. Ich sehe Obdachlose, doch in meiner Festung kann mir niemand etwas anhaben, kommt ihr Elend nicht an mich heran.

Andere Menschen gehen dicht an ihnen vorbei, doch sie sehen sie nicht. Ihre Blicke sind auf ihre Handys gesenkt, ihre Gedanken sind nicht, wo ihre Füße sind. Und wir könnten sie auch?

Ich fahre in die Tiefgarage unter der Firma. Hier ist die Luft kühl, nur die Motoren der anderen Wagen glühen noch. Ich muss keine Abgase einatmen, ich habe mir das Privileg erarbeitet hier zu parken, anstatt auf der Straße. Was bedeutet, dass ich nachher nicht durch die Hitze laufen muss. All das habe ich mir verdient. Ich fahre mit dem Aufzug hoch hinaus. In meinem Büro läuft die Klimaanlage bereits, die Aussicht über den Dächern der Stadt auf gigantische Kreuzungen, wird mir die acht Stunden versüßen.

Wie auf Schienen verläuft mein Tag, erfordert kein Gedenken außerhalb von vorgezeichneten Linien. Und doch zwängt sich zwischen meinen täglichen Bildschirmen heute die Frage hindurch: Was wäre wenn? Was gibt es außerhalb dieser Schienen? Wo Zeit keine Rolle spielt? Wo der Blick nicht begrenzt ist, nicht quadratisch? Wo ich meine eigenen Gedanken denken kann. Die Frage wird verscheucht, von der nächsten E-Mail. Ich habe Wichtigeres zu tun, als zu fantasieren. Außerdem kenne ich die Antwort. Ich würde auch auf diesen Schienen fahren, wenn um mich herum alles in Flammen stünde. Menschen sind schließlich Gewohnheits­tiere. Und in meiner Festung fühle ich mich sicher.  

Kommentar schreiben

Kommentare: 0