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Abschied

 

Die Nebelsuppe hängt so dicht in den eisigen Straßen, dass ich die Adventsbeleuchtung kaum sehen kann. All die Straßenecken, Schaufenster und Laternen mit weihnachtlichen Lichtern haben mir so viele Erinnerungen geschenkt, doch heute dringen sie nicht zu mir durch, so wie sonst, wenn ich in die Heimat fahre. Heute bin ich in meiner eigenen Welt, die kein Lichtlein erhellen kann. Die Fenster im Haus sind dunkel, als ich vor meinem Elternhaus halte, wie so oft in den letzten Jahren, wenn ich zu Besuch kam. Unzählige Male bin ich ausgestiegen und habe ein Haus voller Leben betreten, wurde begrüßt von deiner Stimme und deiner Umarmung, die mir immer ein Gefühl von zuhause gegeben hat. Von nun an wird es das nicht mehr geben.

 

Allein dieser Gedanke reicht aus, damit ich falle, in Schwärze und Kälte, die diesen Dezemberabend wie einen Hochsommertag erscheinen lassen. Doch seit deinem Tod spüre ich ohnehin nichts mehr von den Dingen um mich herum, weil ich in mir viel zu viel spüre.

 

Ich bin erwachsen, stehe auf eigenen Beinen und dennoch macht mir diese Welt ohne meine Mutter Angst. Vielleicht ist das Einsamkeit. Vielleicht ist das im Leben einfach so, dass man von dem verlassen wird, was man liebt. Familien, Freunden, Liebhabern und Illusionen. Wie erwartet, spüre ich die Kälte kaum, als ich aussteige und zur Haustür gehe. Das Haus war noch nie so still wie heute. Ich erwarte immer noch, dass du gleich um die Ecke kommst, lächelst und mich mit deiner warmen Stimme begrüßt. Aber ich werde deine Stimme nie wieder hören.

 

Es wird keinen Rat mehr von dir geben und dieses Weihnachten wird nur eines von vielen sein, dass ich ohne dich verbringen muss. In diesem Augenblick wird mir zum ersten Mal richtig bewusst, dass mein Leben jetzt nicht mehr dasselbe ist. Ich hatte gedacht, ich wäre bereit anzufangen, dein Haus auszuräumen, aber ich bin es nicht. Die Angst vor den Erinnerungen die mich überfallen werden, zieht mir die Beine weg. Also gehe ich einfach durch die Dunkelheit und setze mich im Wohnzimmer auf das Sofa. Es wirkt alles kühl und leer. Wir haben so viele Familienfeiern hier gehabt, deren Zentrum du warst, das ich das Lachen und die Gespräche noch immer in meinen Erinnerungen hören kann. Bei diesen Gelegenheiten hast du jedes Mal deine Backkünste unter Beweis gestellt. All die Kuchen und die Weihnachtsplätzchen waren nur ein Ausdruck deiner Liebe. Bis zum Schluss, bis es deine Krankheit nicht mehr erlaubt hat, hast du deine ganze Familie, deine Freunde und die Nachbarschaft mit Süßem versorgt. Wie soll ich akzeptieren, dass es das jetzt einfach nicht mehr geben wird?

 

Ich sollte froh sein, dass du jetzt an einem besseren Ort bist, an dem du nicht mehr miterleben musst, wie der Krebs deinen Körper zerfrisst. Aber ich bin es nicht. So sehr es mir auch wehgetan hat, zu sehen wie du schwächer und kränker wurdest, ich würde alles geben, um noch einmal dein tapferes Lächeln im Krankenhausbett zu sehen. Ich spüre wie ich zu weinen beginne, während ich an all die vielen Male denke, an denen ich noch mit dir hätte sprechen oder dich besuchen können. Ich habe es nicht getan, weil ich es nicht ertragen habe, dich leiden zu sehen. Ich wollte dich retten, aber ich konnte es einfach nicht. Ich habe mich in die Arbeit gestürzt, weil ich zu feige war. Und jetzt könnte ich mich dafür ohrfeigen.

 

Es ist unfair, dass die Krankheit dich dahingerafft hat. Du hast das nicht verdient. Doch so ist das Leben eben. Ich habe das mittlerweile gelernt. Es gibt allerdings so unendlich Vieles, was ich noch nicht von dir gelernt hatte. Deine Durchsetzungskraft, deine Organisation, deine Güte und vor allem deine Stärke und Weisheit. Du hast allen Herausforderungen in deinem Leben die Stirn geboten und sie gemeistert. Ich habe das Gefühl deine Fußstapfen sind zu groß für mich.

 

Meine tränennassen Augen fallen auf den Sofatisch vor mir. Ich kann im Dunkeln nur die Umrisse erkennen, aber ich weiß es sind schon Kondolenzkarten, Blumen und ein altes Fotoalbum. Als könnten Worte, Pflanzen und Erinnerungen die Wunde in mir betäuben oder gar schließen. Deine Schwester hat die Sachen hier hingelegt, vor zwei Tagen, als du deine Augen zum letzten Mal geschlossen hast. Und während mir Tränen wie Sturzbäche die Sicht rauben, kann ich nur daran denken, wie viele Menschen dich geliebt haben. Die ganze Stadt wird zu deiner Beerdigung kommen, all die Menschen deren Leben du berührt hast. Keiner von ihnen wird mir Trost spenden oder mich halten können. Ich werde weiter fallen bei deiner Beerdigung. Es fühlt sich an, als würde ich nie aufhören zu fallen. Am liebsten würde ich arbeiten, bis ich im Stehen einschlafe.

 

Aber nach und nach versiegen meine Tränen. Möglicherweise ist es Erschöpfung. Vielleicht ist es aber auch eine Nuance von deinem Geruch im Raum. Vielleicht bist du sogar gerade hier bei mir. Ich möchte zumindest glauben, dass du von nun an bei mir bist, wo auch immer ich gehe und stehe. Dass du alles siehst was ich tue und weißt, was ich denke und fühle. Dass du mich beschützt und mir den Weg zeigst. So wie du es immer getan hast. Vielleicht muss ich mich gar nicht wirklich von dir verabschieden, weil du ab jetzt immer bei mir bist. Ich hoffe es ist so. Ich hoffe, ich lerne die Welt mit deinen Augen zu sehen, während ich es schaffe, vom Sofa aufzustehen und das Licht einzuschalten.

 

Ich liebe dich, Mama.

 

Danke für alles.

 

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